Wenn man sich Ihre Studienergebnisse anschaut, erscheint es nicht so, als wären wir mit der Digitalisierung in den Kommunen in Sachsen besonders weit gekommen. Täuscht dieser Eindruck?
Dr. Mario Hesse: Unsere Studie zeigt, dass die Kommunen derzeit tatsächlich noch hinter den Zielen zurück hängen, die Bund und Länder für sie formuliert haben. Aktuell steht vor allem im Fokus, dass das Onlinezugangsgesetz von den Kommunen verlangt, Verwaltungsdienstleistungen flächendeckend digital anzubieten. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Das bedeutet aber nicht, dass nichts passiert. Die Digitalisierung richtet sich in den sächsischen Städten und Gemeinden derzeit vor allem nach innen. Zu nennen sind beispielsweise die Digitalisierung interner Prozesse, die Qualifikation der Beschäftigten und vorbereitende Tätigkeiten. Es gibt viele Ansätze, die in die richtige Richtung gehen.
Sie sagen, dass die Ziele der Kommunen von anderen formuliert werden, also vom Bund und vom Freistaat Sachsen. Sehen denn die Kommunen nicht selbst die Vorteile einer digitalen Verwaltung?
Dr. Mario Hesse: Nach unserem Kenntnisstand wird der Weg hin zur digitalen Verwaltung von den Kommunen nicht nur als Gängelei ‚von oben‘ wahrgenommen. Durch die Digitalisierung sind heute viele Prozesse möglich, die papierhaft nur mit einem enormen Personalaufwand oder überhaupt nicht möglich wären. Man denke nur an die Suche in digitalen Dokumenten oder das Zusammenführen von Informationen aus verschiedenen Quellen. Schon sehr intensiv durch IT durchsetzt ist die Handhabung großer Datenmengen, etwa in der Finanzverwaltung, der Bauverwaltung oder allen Prozessen, die mit Planung zu tun haben und auf Massendaten beruhen. Nicht zuletzt hat die Corona-Pandemie in den letzten Jahren einiges beschleunigt, was bisher an Beharrungstendenzen gescheitert war. Die Digitalisierung verlangt den Kommunen aber auch einiges ab. Sie ist mit einem gewissen Perspektivwechsel, weg von einer antragsgebundenen Verwaltung hin zum echten Dienstleister für öffentliche Belange, verbunden. Da unser Alltag schon stark von digitalisierten Abläufen geprägt ist, wollen Bürger:innen und Gewerbetreibende selbstverständlich auch Verwaltungsleistungen auf diesem Wege erledigen. Prägender als der Service-Gedanke ist für den aktuellen Fortschritt der Digitalisierung für die Kommunen jedoch die Pflicht zur Einhaltung der Gesetze des Bundes und der Länder. Es ist also richtig, dass die Impulse eher von "oben" kommen als aus der Verwaltung selbst.
Was hindert denn die Kommunen daran, bei der Digitalisierung schneller zu sein? Ist es zu viel verlangt, dass wir digitale Lösungen, die wir im Alltag allgegenwärtig erleben, auch von der Verwaltung einfordern?
Dr. Mario Hesse: Die Kommunen befinden sich auf einem Pfad der Verwaltungsmodernisierung, den sie schon seit mehr als 20 Jahren beschreiten. Dass manches langsamer geht als in privaten Unternehmen, hängt stark mit der Komplexität der Verwaltung selbst zusammen. Unser hoher Anspruch an das Verwaltungshandeln, die Bedeutung für die Funktion unseres Gemeinwesens und die schiere Breite der Verwaltungsleistungen spiegeln sich im steinigen Weg der bisherigen Digitalisierung der Verwaltung. Dazu muss man wissen, dass die Digitalisierung an sich keine eigene Aufgabe der Kommunen ist. Stattdessen hängt sie an jedem einzelnen Fachprozess, vom Einwohnermeldewesen über die Bauplanung bis zur Tourismusförderung. Daher bilden sich in Deutschland die föderalen Strukturen mit gemischten Zuständigkeiten auch in den Digitalisierungsprozessen ab. Bis heute ist das Bild deswegen von vielen Insellösungen und einem enormen Koordinationsaufwand geprägt. In einem föderalen System mit selbstverwaltenden Kommunen ist es kaum denkbar, die Prozesse einfach top-down vorzugeben und alle machen mit. Die aktuellen Bestrebungen fokussieren sich daher auf die Vereinheitlichung dort, wo heute jedes Land und teilweise jede Kommunalverwaltung ihr ‚eigenes Süppchen‘ kocht. Dieser Weg der digitalen Durchdringung und Vereinheitlichung kostet Zeit und Geld, wie jede Verwaltungsmodernisierung.
Den Ruf nach Geld hört man ja oft. Ist die kommunale IT-Ausstattung nicht auf der Höhe der Zeit? Oder fehlen immer noch die Breitbandanschlüsse?
Dr. Mario Hesse: Klar ist, es mangelt vorrangig nicht an der Hard- oder Software, sondern an den Köpfen, die die kommunale Digitalisierung gestalten sollen. Das konnten wir in unserer Studie deutlich herausarbeiten. Es gibt nicht genügend IT-Fachkräfte in den kommunalen Verwaltungen und das bestehende Personal hat oft nicht das erforderliche technische Know-how. Einen gewissen Anteil am aktuellen Stand haben auch Beharrungskräfte in den Verwaltungen. Die tiefgreifenden Veränderungen durch die Digitalisierung stellen so manche eingeübte Verwaltungspraxis in Frage. Unsere Studie zeigt allerdings, dass die Digitalisierung die Handlungsspielräume der Verwaltung nicht besonders einschränkt, sondern vielmehr Routinearbeiten automatisiert werden und damit Ressourcen für die Bearbeitung komplexerer Themen frei werden. Überraschend ist vielleicht, dass auch die Technik selbst eine Bremse sein kann. Wenn Investitionen in IT-Lösungen erst einmal getätigt wurden, haben sie eine gewisse zeitliche Bindung und können nicht gleich wieder geändert werden. Nicht zuletzt spielen hier auch Herstellerinteressen eine Rolle, die mitunter die Übergabe von Daten von einer Softwarelösung in die andere erschweren.
Was können Kommunen also tun, die mit den digitalen Prozessen in der Verwaltung nicht vorankommen?
Dr. Mario Hesse: Erfreulicherweise stehen in Sachsen viele helfende Hände bereit, sowohl seitens der Landesverwaltung als auch durch kommunale Angebote, wie den Zweckverband KISA. Kommunen, die sich unterstützen lassen, berichten vorrangig von positiven Erfahrungen. Wichtig ist es, einen Anfang zu machen. Um den Personalmangel zu lindern, sollten vorrangig bestehende Beschäftigte geschult werden, wenn die beschriebenen Hilfsangebote nicht ausreichen. Bei der Einstellung von IT-Fachleuten sollte auf Kooperationen mit anderen Kommunen gesetzt werden. Nicht jede kleine Gemeinde braucht eine voll ausgestattete IT-Abteilung. Insgesamt können die Kommunen viel voneinander lernen. Durch Austausch und Kooperation können vor allem kleine Kommunen die Digitalisierung besser handhaben. Für den bereits begonnenen Weg hin zur digitalen Verwaltung stellt sich immer deutlicher heraus, dass Standards und Schnittstellen wichtig sind, damit die digitalen Lösungen innerhalb der Verwaltung und zwischen den Verwaltungen miteinander kommunizieren können. So wird aus der digitalen Insel schnell ein digitales Ökosystem, das viele Verwaltungsprozesse letztlich auch vereinfacht und beschleunigt.
Ist nicht auch der Freistaat Sachsen gefordert, die Kommunen zu unterstützen, wenn er die Ziele und Regeln vorgibt?
Dr. Mario Hesse: Es gibt bereits einige Hilfsangebote für die Kommunen, an denen sich der Freistaat beteiligt. Hervorzuheben ist das Programm der Digital-Lotsen, das vom Sächsischen Städte und Gemeindetag durchgeführt und vom Freistaat finanziell unterstützt wird. Da es weniger an der Technik als vielmehr am Personal und dessen Qualifikation mangelt, sollte die Förderung genau an diesem Punkt ansetzen. Das bedeutet eine Schwerpunktverlagerung: Weniger Investitionen in Hardware und mehr Förderung für den laufenden Betrieb, also Beschäftigung von IT-Fachkräften und Qualifikation des bestehenden Verwaltungspersonals. Ein wenig mehr Druck an der richtigen Stelle könnte aber auch helfen. Würde der Freistaat die Kommunen zur Einführung der sogenannten E-Akte verpflichten, würde er ein klares Ziel ausgeben und könnte auch seine Förderung darauf ausrichten. Dies würde die langfristen Erfolge der Digitalisierung sichern. Der landeseigene IT-Kooperationsrat sollte in diesem Zusammenhang eine aktivere Rolle spielen, um gemeinsame Standards und verbindliche Ziele zu formulieren und nicht zuletzt auch die Finanzierung dieses Großvorhabens zu sichern.