Professor Dr. André Marchand hat am 1. Oktober 2020 als Nachfolger von Prof. Dr. Dr. h.c. Löbler die Marketing-Professur an der Universität Leipzig übernommen und stellt seine Arbeitsschwerpunkte in einem kurzen Interview vor.
Lieber Herr Professor Marchand, herzlich willkommen an der Universität Leipzig! Eine typische Begrüßungsfrage lautet: Hatten Sie eine angenehme Anreise?
Vielen Dank, ich freue mich sehr, hier zu sein. Meine Anreise war sehr angenehm, ein bisschen wie das Zurückkehren in eine zweite Heimat. Ich habe bereits einige Jahre in Leipzig gewohnt. Das war während meiner Promotionszeit an der Bauhaus-Universität Weimar und zu Beginn meiner Habilitationszeit an der WWU Münster. Damals waren z.B. die Höfe am Brühl noch in Bau und der neue Campus Augustusplatz wurde gerade erst fertiggestellt. Jetzt als Professor wieder hier sein zu können, ist etwas ganz Besonderes.
Was haben Sie sich für Ihre ersten 100 Tage vorgenommen?
Zu Beginn gibt es eine Menge zu organisieren. Zunächst müssen Mitarbeitende ausgewählt und die Büros eingerichtet werden. Ich bringe einen Teil meines Teams von der Universität zu Köln mit, suche aber auch neue Mitarbeitende. Am 26. Oktober beginnt die Vorlesungszeit, dafür müssen neue Lehrveranstaltungen vorbereitet werden. Die aktuellen Drittmittel- und Forschungsprojekte laufen auch weiter, und neue Projekte sind startklar. Neben dem Organisatorischen ist die erste Zeit an einer neuen Fakultät aber natürlich eine Zeit des Kennenlernens. Ich bin bereits einigen neuen Kolleginnen und Kollegen an der Universität Leipzig persönlich begegnet und wurde sehr herzlich begrüßt. Nun freue ich mich darauf, demnächst auch die Studierenden kennenzulernen. Außerdem möchte ich weitere Kontakte zu Unternehmen aufbauen, z.B. für praxisbezogene Forschungsprojekte und Gastvorträge. Marketing ist eine Anwendungswissenschaft, deshalb ist mir wichtig, dass Marketing-Forschung und -Lehre wissenschaftlich den höchsten Ansprüchen genügt und dabei gleichzeitig relevant und anwendbar für Unternehmen ist. Ich möchte mich an zukunftsweisenden Problemen orientieren, Wissen dazu generieren und dieses durch Transfer auch gesellschaftlich nutzbar machen. So etwas funktioniert natürlich nicht allein, deshalb unterstützt mich dabei mein Team, und wir kooperieren international mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Fächern und mit verschiedenen Spezialisierungen.
Das klingt spannend. In welchem Bereich forschen Sie?
Zentral in meiner Forschung ist die digitale Transformation im Marketing. Sie betrifft sämtliche Branchen und Geschäftsbereiche. Da tut sich unglaublich viel, und das eröffnet eine Flut neuer Forschungsfragen, von denen ich hoffe, einige in der nächsten Zeit zu beantworten. Schauen Sie beispielsweise, wie sich die Kommunikation von Unternehmen verändert, von klassischer Werbung hin zu interaktiven Austauschprozessen in sozialen Netzwerken. Aber auch das Konsumverhalten hat sich verändert und wandelt sich weiter: Die meisten Unterhaltungen über Produkte und Dienstleistungen finden im digitalen Raum statt, Konsumentinnen und Konsumenten informieren sich im Internet, sie bestellen in Online-Shops, sie regen sich in Sozialen Medien auf, wenn etwas nicht funktioniert, und sie loben dort, wenn sie von etwas begeistert sind, und so manches wird direkt digital gekauft und genutzt, denken Sie an E-Books oder Musik, aber auch Car Sharing-Angebote profitieren von digitalen Innovationen. Angetrieben durch die Coronavirus-Pandemie erleben wir derzeit in vielen Bereichen sogar eine Beschleunigung der digitalen Transformation.
Beim Thema Coronavirus-Pandemie fragen sich viele Studierende, was das für ihr Studium bedeutet. Das Sommersemester 2020 war von Online-Lehre geprägt. Wie wird das im Wintersemester, haben Sie da Pläne?
Ja, das Sommersemester war in der Tat anders als die vergangenen Semester. Kurz nachdem ich im März von einem Forschungsaufenthalt an der University of Sydney zurück nach Deutschland gekommen bin, wurde klar, dass wir innerhalb weniger Wochen den Lehrbetrieb auf digitale Formate umstellen mussten. Das Studium wurde ins Homeoffice verlegt und viele vertraute Abläufe änderten sich in kurzer Zeit. Meine Vorlesungen an der Universität zu Köln fanden als Videokonferenzen statt. Das war zunächst ungewohnt. Man tauschte sich plötzlich nur noch über Kamera und Mikrofon aus, und man hatte nicht die gleiche Möglichkeit, an den Gesichtern der Studierenden abzulesen, ob etwas unklar war usw. Durch die Schließungen der KiTas und Schulen war es für mich als Vater, so wie für viele andere Eltern, eine zusätzliche Herausforderung, dass die ganze Umstellung ohne viel zusätzliche Vorbereitungszeit gemeistert werden musste. Mein Team und ich haben nach kreativen Lösungen gesucht, um die Lehre erfolgreich auf digitale Formate umzustellen. Sicher war unsere Affinität zu digitalen Medien da hilfreich. Statt einem verlorenen Präsenzsemester hinterher zu trauern, haben wir die Herausforderung der veränderten Bedingungen angenommen. Beispielsweise haben wir während der Vorlesungen eine interaktive Ko-Kommentator-Situation geschaffen und Onlinequiz-Elemente eingebaut. Das hat gut funktioniert. Auch die Prüfung lief anders als sonst. Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Situation vor einigen Jahren, bei der ich auf einem ZEIT-Kongress gesagt habe, dass ich mir in Zukunft digitale Klausuren vorstelle, bei denen alle Teilnehmenden das Internet verwenden können, genau wie im späteren Berufsleben auch. Das hat damals im Publikum einen Sturm der Entrüstung erzeugt. Das wäre ja viel zu leicht, die Studierenden müssten dann nichts mehr lernen, war die gängige Befürchtung. Die Erwähnung, dass digitale Systeme mit künstlicher Intelligenz besser als wir Menschen im Auswendiglernen sind, hat das Publikum sogar noch mehr beunruhigt. In diesem Sommer konnten wir es ausprobieren. Wir haben eine digitale Klausur konzipiert, die die Teilnehmer von zu Hause aus am Computer schreiben konnten, mit allen Internetquellen, die sie nutzen wollten.
Und dann hatten alle eine 1.0?
Das könnte man denken, aber tatsächlich ist die Klausur sehr ähnlich ausgefallen wie die früheren Klausuren, die in den Räumen der Universität ohne Hilfsmittel geschrieben worden waren. Genau genommen sogar 0,1 Notenpunkte schlechter, was aber statistisch nicht signifikant ist. Das zeigt, dass so ein digitales Format durchaus möglich ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch nach der Pandemie einige Aspekte des veränderten Arbeitslebens beibehalten werden, nämlich dort, wo die Digitalisierung Vorteile bringt. Auf der anderen Seite gibt es soziale Aspekte, die sich nicht vollständig digitalisieren lassen. Ich denke daher, dass es zukünftig auf einen gelungenen Mix digitaler und physischer Arbeits- und Kommunikationsprozesse ankommen wird.
Ein gelungener Mix ist ein gutes Stichwort. Wie ist Ihr Mix von Beruf und Privatleben? Haben Sie Hobbys?
Das Wunderbare am Professorenberuf ist für mich, dass man sein Hobby zum Beruf macht. Dadurch verschwimmt das Berufs- und Privatleben. Wenn ich z.B. abends einen für mehrere Oscars nominierten Spielfilm bei Netflix anschaue, denke ich auch darüber nach, ob die Bedeutung solcher Nominierungen im Video-on-Demand-Geschäft im Vergleich zum Kinogeschäft eher ab- oder eher zunimmt, oder wie sich Marketingstrategien für solche Filme durch eine Verschiebung der Premieren vom Kino in das Home Entertainment ändern. Technische Innovationen interessieren mich – nicht nur beruflich, sondern auch privat. Als z.B. in unserem Stadtteil die ersten E-Scooter aufgestellt wurden, bin ich mit meinen Kindern hingegangen, habe die E-Scooter angeschaut und ausprobiert. Wenn es z.B. im Urlaub in einem Supermarkt ein neuartiges Bezahlsystem gibt, probiere ich das auch meist direkt aus. Das alles inspiriert mich auch zu neuen Forschungsfragen. Die meisten Ideen kamen mir aber bisher beim Joggen oder Klavierspielen, also in Momenten der Entspannung.
Dann wünsche ich Ihnen noch viele spannende Entdeckungen und weiterhin einen guten Start an der Universität Leipzig. Vielen Dank für das Interview.